Prisoner X
#2 Das Schlimmste - Part I
Einen Mangel an Horrorgeschichten über Gewalt hinter Gittern wird es wohl nie geben. Sie vermehren sich wie Fliegen, die von der aufgeblähten Leiche des Gefängnissystems aufsteigen, um uns zu verfolgen als wären sie rachsüchtige Geister. Dies geschieht meist in Form von Hollywoodfilmen und populärer Fiktion. Solche Geschichten haben unsere Gesellschaft in einem Maße durchdrungen, dass man nahezu unausweichlich auf sie trifft. Jeder hat schon ein paar davon gehört, wobei eine blutiger und grausamer ist als die andere.
Aufgrund der weiten Verbreitung solcher Erzählungen werde ich oft nach Gewalt und der Gefahr eines Angriffs im Gefängnis gefragt. Es wird erwartet, dass dies das Schlimmste am Gefängnis ist und dass jeder in ständiger Angst lebt. Die Wahrheit hinsichtlich des Schlimmsten am Gefängnisalltag weicht jedoch von dieser Einschätzung ab und ist weitaus weniger spektakulär.

Gewalt ist ein wesentlicher Bestandteil des Gefängnislebens und wird bedingt durch die Natur des Schauplatzes wohl auch nie vollständig unterbunden werden können. Zu viele Männer mit zu vielen unterschiedlichen Hintergründen, auf zu wenig Raum, mit zu wenigen Möglichkeiten, ihre Zeit zu verbringen - diese Umstände geballt werden immer zu Problemen führen. Doch die Lage der Gewaltbereitschaft ist wohl kaum einer der schlimmsten Aspekte des Gefängnisalltags, besonders nicht für jene hier in der Todeszelle.
In den meisten Hochsicherheitsgefängnissen auf Bundesebene, die als United States Penitentiaries oder USPs bekannt sind, stellen Gewalttaten im Gefängnisalltag ein beträchtliches Problem dar. In jedem einzelnen davon werden pro Jahr durchschnittlich zwischen 200 und 400 Angriffe mit schweren Verletzungen als Folge verübt. Dennoch dreht sich nur ein winziger Teil der Zeit des einzelnen Häftlings um Gewalt. Die meisten gewöhnen sich so sehr an die von Gewalt geprägt Umgebung, dass gewaltvolle Auseinandersetzungen kaum noch wahrgenommen werden und fast gänzlich an Bedeutung verlieren, sofern man nicht persönlich involviert ist.
Langzeitstudien auf Basis jahrzehntelanger Forschung haben gezeigt, dass diejenigen, die wegen Mordes inhaftiert sind, weniger wahrscheinlich in weitere Gewalttaten verwickelt werden als jede andere spezifische Klasse von Gefangenen. Die Gründe dafür sind nach wie vor heftig umstritten, aber die Tatsache als solche ist unangefochten.
Das sogenannte Special Containment Unit, kurz SCU, wurde im Jahr 1999 im Hochsicherheitsgefängnis in Terre Haute errichtet, um auf Bundesebne zum Tode Verurteile unterzubringen. In den 20 Jahren, die seitdem vergangen sind, kam es zu keinem einzigen Mord und auch keiner Vergewaltigung. Es gab insgesamt lediglich 5 Angriffe irgendeiner Art, von der nur einer schwere Verletzungen zur Folge hatte.
Dies steht in starkem Kontrast zu dem Ausmaß an Gewalt, das in jeder anderen Hochsicherheitseinrichtung herrscht. Wenn man jedoch die Statistiken über Gewalttaten hier im Todestrakt mit denen in der freien Welt vergleicht, zeigt sich, dass ein Todeszelleninsasse in Terre Haute weitaus sicherer und mit geringerer Wahrscheinlichkeit Gewalt ausgesetzt ist als die Bewohner einer Großstadt in den USA.
Ich möchte keinesfalls die Gewalt in Gefängnissen verharmlosen. Jeden Tag werden Häftlinge niedergestochen, vergewaltigt und ermordet, dieses Problem besteht in nahezu jeder Hochsicherheitseinrichtung. Was ich sagen möchte ist lediglich, dass Gewalt kein Faktor ist, der das Leben im Todestrakt beeinflusst. Doch selbst in Umgebungen, in denen es häufiger zu Übergriffen kommt, kann eine gewaltsame Auseinandersetzung in der Regel vermieden werden oder es kann auf verschiedene Arten damit umgegangen werden. Deshalb behaupte ich, dass die herrschende Gewalt nicht zu den schlimmsten Aspekten des Gefängnisalltags gehört.
Es gibt hingegen ein paar Dinge, auf die es keine Antwort gibt. Diese Probleme sind unendlich viel schwerer zu ertragen, weil man für sie keine erdenkliche Lösung finden kann.
Links zu den anderen Beiträgen der Reihe "Das Schlimmste": Das Schlimmste - Part II Das Schlimmste - Part III
Foto: DANAI KHAMPIRANON/ Shutterstock.com